Herausforderungen für das deutsche Gesundheitssystem über die COVID-19-Pandemie hinaus

Herausforderungen für das deutsche Gesundheitssystem

Eigentlich möchte ich in meinem Blog über digitale Innovationen im Gesundheitsbereich sprechen. Wenn man wie ich im deutschen Gesundheitssystem arbeitet, stolpert man allerdings immer wieder über Schwachstellen der Digitalisierung des Systems. Daher möchte ich in diesem ersten Beitrag auf verschiedene Schwachstellen eingehen und diese in einen Zusammenhang mit den kritischen Arbeitsbedingungen der Angestellten im Gesundheitssystem bringen sowie Wechselwirkungen und Ursachen aufzeigen. Gleichzeitig möchte ich diskutieren, inwiefern die Digitalisierung möglicherweise als Lösung für das Personalproblem dienen kann.

Grundsätzliche Schwachstellen des deutschen Gesundheitssystems

Die COVID-19-Pandemie hat grundsätzlich zwei große Schwachstellen des deutschen Gesundheitssystems ans Licht gebracht:

1. Den eklatanten Mangel an Digitalisierung, der zu einem Mangel an Daten und Präventionsmöglichkeiten führt.

2. Die schlechten Arbeitsbedingungen für Angestellte im Gesundheitssystem und die daraus resultierende Unattraktivität der Berufe.

Ursachen für die Schwächen des deutschen Gesundheitssystems bei der Digitalisierung

Schon vor der COVID-19-Pandemie war das deutsche Gesundheitssystem für seinen im internationalen Vergleich niedrigen Digitalisierungsgrad bekannt. Während die unzureichende technische Ausstattung der Gesundheitsämter vor allem in der Pandemie für die Öffentlichkeit deutlich sichtbar wurde – wir erinnern und alle an den Datenaustausch zu den Fallzahlen der erkrankten Personen, der überwiegend per Fax erfolgte –, war die geringe digitale Dateninfrastruktur in den Kliniken bereits vor der Pandemie als ungenutztes Potenzial zur Verbesserung der Versorgungsqualität bekannt.  In der Hinsicht stellt sich schnell die Frage:

Warum ist das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich so unterdigitalisiert?

Wir sind uns alle einig, dass Digitalisierung die Qualität der Versorgung steigern und Unter-, Über- und Fehlversorgung abbauen könnte. Doch bei der praktischen Umsetzung gibt es eine Fülle an Herausforderungen in Bezug auf Koordination, Abstimmung und Kostenübernahme zu berücksichtigen.

Die Ursachen für den geringen Digitalisierungsgrad sind vor allem in den Strukturen zur Regulierung zu finden. Die föderalen Strukturen in Deutschland bringen mit sich, dass Zuständigkeiten und Finanzmittel auf verschiedene politische Ebenen verteilt sind. Dies erschwert die notwendige Koordination beim Aufbau einer digitalen Infrastruktur und die Gewährleistung der Interoperabilität von Software. Prinzipiell ist das deutsche Gesundheitssystem für seine Komplexität bekannt: Während der Bund unter Führung des Bundesministeriums für Gesundheit den rechtlichen Rahmen für die Akteure im Gesundheitswesen setzt, erstreckt sich die Zuständigkeit der Länder vor allem auf die stationäre Versorgung (z. B. Krankenhausplanung) und den öffentlichen Gesundheitsdienst. Hinzu kommt die Selbstverwaltung der Kostenträger und Leistungserbringer, die in vielen Bereichen durch einen institutionalisierten Aushandlungsprozess zwischen allen Akteuren die Standards setzen. Die starke Fragmentierung der Versorgung, die eine Folge der unterschiedlichen Zuständigkeiten ist, führt auch dazu, dass ein übergreifender, ganzheitlicher Aufbau digitaler Infrastrukturen bislang nicht im notwendigen Umfang möglich ist.

Es ist natürlich schwierig, in einer Krise jahrzehntelange Versäumnisse nachzuholen.

Es ist natürlich schwierig, in einer Krise jahrzehntelange Versäumnisse nachzuholen. In den letzten Jahren hat sich aber gezeigt, dass die Pandemie ein Beschleuniger solcher Prozesse war und weiterhin ist.

Die Umsetzung einer stärkeren Digitalisierung des Gesundheitswesens erfordert im Allgemeinen eine Reihe von Voraussetzungen: Damit die Daten von allen Akteuren genutzt werden können (Interoperabilität), muss es (zentrale) rechtliche Vorgaben geben, die die Konnektivität sicherstellen, und zusätzlich dazu ein Datenschutzrecht, das Innovationen und den Datenaustausch für eine bessere medizinische Versorgung nicht behindert. Der Aufbau einer digitalen Infrastruktur ist als Investition für die einzelnen Akteure zu verstehen, deren Finanzierung von der zuständigen staatlichen Ebene sichergestellt werden muss. Dieses Verständnis war in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben.

Kritische Arbeitsbedingungen für das Personal im Gesundheitssystem

Neben der mangelnden Digitalisierung (oder auch damit verbunden?) ist die Arbeitsüberlastung des Personals aufgrund von Personalmangel eine weitere Schwachstelle. Hierfür gibt es mehrere Gründe:

In Deutschland hat es jahrzehntelang keine koordinierte Krankenhausplanung gegeben; die Krankenhausstruktur war also nicht auf den zukünftigen Versorgungsbedarf ausgerichtet. Die Kliniken konnten und können prinzipiell selbst entscheiden, welche Behandlungen sie anbieten, unabhängig davon, ob sie auf die jeweiligen Behandlungen spezialisiert sind. Das hat zur Folge, dass Behandlungen auch in Kliniken stattfinden, die diese nicht regelmäßig durchführen, sodass aufgrund fehlender Routine schlechtere Behandlungsergebnisse erzielt werden (könnten). Außerdem werden insgesamt mehr spezialisierte Fachkräfte benötigt als wenn sich bestimmte Behandlungen auf einige wenige Krankenhäuser in Deutschland konzentrieren würden. Eine Spezialisierung könnte demnach zu einer effizienteren und qualitativ hochwertigeren Versorgung führen, was zugleich eine Entlastung des Pflegepersonals durch routiniertere Behandlungsabläufe und weniger Patienten pro Pflegekraft bedeuten könnte.

Kritische Arbeitsbedingungen für das Personal im Gesundheitssystem

Gleichzeitig sind die Bundesländer in den letzten Jahrzehnten ihrer Verpflichtung, die bestehenden Krankenhäuser mit ausreichenden Investitionsmitteln auszustatten, zunehmend nicht nachgekommen. Die Investitionsförderung deckt seit Jahren jährlich nur etwa die Hälfte der erforderlichen Investitionen ab, sodass Krankenhäuser unter erheblichen finanziellen Druck geraten sind und benötigte Mittel zunehmend aus den Betriebskosten finanziert haben.

Unzureichende Finanzierung von Investitionen durch das System

Die unzureichende Finanzierung von Investitionen bedeutet auch, dass Krankenhäuser einen geringeren Anreiz haben, kostspielige Investitionen in die Verbesserung von Arbeitsabläufen und digitalisierte Prozesse zu tätigen. Selbst wenn diese mittelfristig eine Kostensenkung ermöglichen, hemmt die fehlende Investitionskostenfinanzierung diese Investitionen.

Eine effiziente Personalplanung in Krankenhäusern ist allerdings abhängig vom Grad der Digitalisierung. Auch hier zeigt sich die Digitalisierungslücke, die in Deutschland generell zu beobachten ist. Für eine sinnvolle Personalplanung müssten die Patientendaten mit ihren unterschiedlichen Behandlungsbedürfnissen in den Krankenhäusern digital erfasst werden, um das Personal bedarfsgerecht einsetzen zu können. Hilfreich wäre dafür eine elektronische Patientenakte, deren flächendeckende Einführung sich in Deutschland jedoch seit Jahren verzögert. In vielen Krankenhäusern werden Patientendaten in der Regel unabhängig von der jeweiligen Personalplanung verwaltet. Zudem ist die Personalplanung überwiegend nicht digital, was eine Verknüpfung von Datensätzen erheblich erschwert. Die fehlende Digitalisierung in deutschen Krankenhäusern führt daher auch zu einer fehlgeleiteten und unzureichenden Personalplanung.

Der Personalmangel ist ein großes Problem im Gesundheitswesen und erschwert die Digitalisierung. Die Mitarbeitenden sind überlastet und haben weniger Zeit für innovative Themen. Das führt zu einer geringeren Produktivität und Qualität der Arbeit sowie zu einem Mangel an Veränderungswillen, der für die Digitalisierung erforderlich ist.

Das Gesundheitssystem in Deutschland muss beschleunigt digitalisiert werden

Das Gesundheitssystem in Deutschland muss also beschleunigt digitalisiert werden, um die Patientenversorgung in Zeiten nach der Pandemie zu verbessern. Darauf sollte in den nächsten Jahren der Fokus liegen, denn selbst wenn die Arbeitsbedingungen verbessert werden, wird die Belastung des Personals angesichts des demografischen Wandels mit immer weniger jungen Arbeitskräften und eines zugleich deutlichen Wachstums der Anzahl älterer Menschen in Deutschland, die einem Anstieg des Behandlungsbedarfs zur Folge haben wird, kaum abnehmen.

Zwar erkennen die etablierten deutschen Parteien die Notwendigkeit einer Modernisierung der digitalen Infrastruktur in Deutschland, das Problem der unterschiedlichen Zuständigkeiten im föderalen System bleibt jedoch bestehen. Ohne eine grundlegende Reform der Krankenhausstrukturen und eine Verlagerung der stationären in die ambulante Versorgung wird das Problem der Arbeitsüberlastung des Krankenhauspersonals bestehen bleiben.

Mit Blick auf die Entwicklung der letzten Jahre besteht dahingehend Anlass zu Optimismus, als die Pandemie einen Digitalisierungsschub im Gesundheitswesen mit sich bringt und vielleicht sogar eine schnellere und intensivere Digitalisierung des Gesundheitswesens ins Rollen bringt – unter der Voraussetzung, dass die Rahmenbedingungen entsprechend angepasst werden. Wie bereits aufskizziert, könnte durch eine verstärkte Digitalisierung der Krankenhäuser eine verbesserte Personalplanung und damit eine Entlastung des Pflegepersonals erzielt werden, was wiederum die Attraktivität des Berufs erhöhen und die Patientenversorgung verbessern könnte.

Daher ist es auch Aufgabe der Krankenhäuser, die digitale Transformation auf die strategische Agenda zu setzen. Die Digitalisierung des Gesundheitssystem in Deutschland ist ein ganzheitliches Projekt.

Dieser Blog soll mit spannenden digitalen Innovationen seinen Beitrag dazu leisten.


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